"Nichts geht ohne faires Verhalten "

Prof. Dr. Rita Süßmuth, ehemalige Präsidentin des Deutschen Bundestages

Der Sport bietet vielen behinderten Menschen in ganz besonderer Weise eine wirkungsvolle Lebenshilfe. Er vermag ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten und zu steigern, baut Vorurteile ab und weist Wege aus der Isolation. Der Sport weckt Selbstvertrauen, stärkt das Selbstbewußtsein und führt zur Lebensbejahung. Er fördert Kontakte als Möglichkeit der Begegnung Behinderter untereinander und mit Nichtbehinderten. Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Integration Behinderter in der Gesellschaft geleistet.

Die Gemeinschaft zwischen Behinderten und Nichtbehinderten muß immer wieder geübt werden. Dies geht nicht ohne ein faires Verhalten der Sportler untereinander. Die Einübung fairen Verhaltens im Sport sensibilisiert für faires Verhalten in der Gesellschaftzwischen Behinderten und Nichtbehinderten. Darum sollten sich vor allem die Sportler selbst und nicht die Schiedsrichter für die Einhaltung der Regeln und des Fair play verantwortlich fühlen. Denn analog zu einer gut funktionierenden Gesellschaftsordnung braucht auch der Sportbereich seine Normen und Spielregeln, die anerkannt und befolgt werden müssen.

Allen behinderten und nichtbehinderten Sportlern wünsche ich in diesem Sinne faire und erfolgreiche Wettkämpfe.

Auf den Zahn gefühlt: Fair Play finde ich...

Josef  Indenhuck, (ehemaliger 1. Vorsitzender BSG Ratingen, Bezirksvorsitzender)

Für mich steht Fair play an erster Stelle im Leistungssport. Leider wird die Fairneß in der heutigen Ellenbogengesellschaft nicht mehr so oft praktiziert. Aber auch ich konnte schon erleben, wie ein Sportler zugunsten eines Mitkonkurrenten auf seinen Pokal verzichtete, was ein ausgesprochen fairer Zug war. Die Einnahme unerlaubter Mittel beim Sport - ich meine hiermit Dopingist das Unfairste, was ein Sportler tun kann. Ich halte in solchen Fällen eine lebenslange Sperre für erforderlich, denn es sollten alle Sportler mit den gleichen Mitteln kämpfen. Es ist wichtig, daß sowohl die Trainer als auch die Betreuer den Sportlern nahelegen, fair zu sein - und das natürlich auch vorleben.

Inge Falk (ehem. Bundesfrauenwartin des DBS, 2. Landesvorsitzende BehindertenSportverband NW)

Ich beschäftige mich schon seit Jahren mit diesem Thema und stelle fest, daß es mit der Fairneß nicht schlechter geworden ist, sondern im Gegenteil, ständig besser wird. Da tut sich was! In den Nichtbehinderten-Sport habe ich leider zuwenig Einblick. Im Behindertensport wird das "Fairhalten" sehr gepflegt, so daß Außenstehende mich oft ansprechen, wie erstaunt sie über diese Tatsache sind. Daß Fairneß in unserem Sport besser rüberkommt, liegt an den Menschen selbst und an ihrer Behinderung. Diese Sportler sind auf die Hilfe und Zuwendung anderer Menschen angewiesen und gehen deshalb auch anders miteinander um. Seit 27 Jahren bin ich im Behindertensport tätig und stelle immer wieder fest, daß dort eine andere Atmosphäre herrscht als im Nichtbehinderten-Sport.

Britta Brockskothen (Weitsprung, Sprint- und Mittelstrecke)

Ich halte Fairneß im Sport für sehr wichtig, denn wir alle kämpfen unter den gleichen Bedingungen. Im Behindertensport ist Fair play aber eigentlich auch kein Problem. Daß Fairneß tatsächlich auch verwirklicht wird, habe ich beim ARD Sport Extra Pokal 1988 gesehen. Dort hat ein Fünfkämpfer seine Goldmedaille bei der Siegerehrung an einen anderen Sportler weitergegeben, weil er der Meinung war, Ich halte Fairneß im Sport für sehr wichtig, denn wir alle kämpfen unter den gleichen Bedingungen. Im Behindertensport ist Fair play aber eigentlich auch kein Problem. Daß Fairneß tatsächlich auch verwirklicht wird, habe ich beim ARD Sport Extra Pokal 1988 gesehen. Dort hat ein Fünfkämpfer seine Goldmedaille bei der Siegerehrung an einen anderen Sportler weitergegeben, weil er der Meinung war, dieser habe beim Kugelstoßen eine größere Weite erreicht als er selbst. Auch ich selbst habe bereits bei den Paralympics vor vier Jahren Fair play praktiziert, indem ich meiner Kollegin, der alle Disziplinen gestrichen worden waren , meinen Platz beim lOO-m-Lauf überließ. Fair play ist wichtig für den Sport, und ich denke, daß Fairneß auch in der heutigen Zeit noch möglich ist. Wer nicht zu ehrgeizig an Wettkämpfe herangeht, wird Fair play auch weiterhin als Lebensmotto ausüben .

Dietmar Budwill (Segeln)

Segeln ist in erster Linie ein Integrationssport, bei dem die Mannschaft zählt und nicht der Einzelkämpfer im Boot. Jeder hat seinen festen Platz und seine Aufgabe und muß mit dem Rücken zum Partner fühlen, was dieser gerade tut. Darum geht es gerade beim Behindertensport um Kameradschaft, Verständnis und Einfühlungsvermögen, denn wichtig ist das Miteinander und nicht in erster Linie der Sieg. Individualisten mit Behinderungen verschiedener Klassen kämpfen miteinander und haben zusammen Erfolg. Darum ist gerade in unserer Sportart ein unfaires Verhalten innerhalb einer Crew gar nicht möglich. Der Wettkampferfolg bringt Selbstbestätigung und Selbstbewußtsein, die aus einem fairen Sportsgeist resultieren. Deshalb ist Doping für uns kein Thema, denn das haben wir einfach nicht nötig. Gerade der Sport ist ein gutes Mittel, um aus der "blöden Ecke" der Behinderung herauszukommen und mit fairen Mitteln gegeneinander anzutreten und einander zu messen. Ein unfairer Sieg, der einem von jedem geneidet wird, ist kein Sieg.

Alexander Schwarz (Ski Nordisch)

Fairneß wird beim Sport grundsätzlich praktiziert, aber immer häufiger treten finanzielle Gesichtspunkte in den Vordergrund. Ich halte es für falsch, zu jubeln, wenn der Konkurrent stürzt, aber gerade das erlebt man oft. Es herrschen meiner Meinung nach große Unterschiede zwischen dem Behinderterisport und dem NichtbehindertenSport. Im Nichtbehinderten-Sport steht der Kommerz an erster Stelle, beim Behindertensport dagegen freut sich jeder einfach nur über seinen Sieg, denn er weiß, daß er auch bei einer Niederlage finanziell davon nicht betroffen ist.

Gunther Belitz (Weitsprung, Hochsprung, 100 m Lauf, Aktivensprecher DBS)

Ich bin fest davon überzeugt, daß die Gebote der Fairneß im Sport beachtet werden. Doch nur die Paralympics tragen eigentlich noch den ursprünglichen Geist der Olympischen Spiele in sich, bei dem eine faire Einstellung zum Sport wichtig ist. Auch im NichtbehindertenSport geht es fair zu, aber die Solidarität zwischen den behinderten Sportlern ist wesentlich höher. Diese tauschen auf Großveranstaltungen auch Informationen über technische Neuerungen aus. Demonstrative Gesten der Fairneß gibt es genug: Ich selbst habe bei der WM in Berlin bei der Siegerehrung Andreas Siegel meine Goldmedaille überreicht, weil er seit zehn Jahren mit einem zusätzlichen Handicap beim Hochsprung startet.

Dr. Britta Siegers (Schwimmen)

Fair play spielt im Sport eine sehr große Rolle. Es ist genauso wichtig, bei einer Niederlage fair zu sein wie bei einem Sieg. Für mich ist z. B. Fair play, wenn man auch seinem Konkurrenten Tips gibt und Fehler anspricht, durch die sich dieser verbessern kann. Für mich zählt ein Erfolg nur, wenn ich mich mit dem anderen auseinandergesetzt habe. Ein Sieg durch das Ausscheiden eines Gegners ist kein richtiger Sieg. Man sollte Chancengleichheit praktizieren und die Erfolge anderer neidlos anerkennen können . Eine sportliche Auseinandersetzung ist kein Krieg, sondern sollte ein sportliches Aneinander-Messen zur Selbstbestätigung sein.

Lothar Overesch (Leichtathletik)

Der Behindertensport ist wie eine große Familie, bei der es im Grunde keinen Futterneid gibt. Schwierig wird es aber bei der Nominierung für die Paralympies, weil nur eine begrenzte Anzahl von Plätzen frei ist, aber mehr Leute die Qualifikationsnorm erreicht haben, als Plätze zur Verfügung stehen. Jeder möchte natürlich gerne dabeisein und das Beste für sich herausholen. Doch auch das darf kein Grund sein, unfair mit seinem Konkurrenten umzugehen. Ich kann eigentlich nur von positiven Erfahrungen in der Leichtathletik des Behindertensports berichten. Zum Glück haben wir noch zahlreiche Idealisten in unseren Reihen, denen die Fairneß sehr am Herzen liegt.

Bärbel Zilonka (Diskus, Kugelstoßen)

Ich persönlich lege sehr viel Wert auf Fairneß im Sport. Man muß mit dem Gegner auch Spaß haben können, ohne immer nur den Wettkampfvorteil im Sinn zu haben. Man sollte die Fairneß beim Sport trotz aller Nachteile niemals aus den Augen verlieren, denn der Gewinn von Medaillen darf keine Priorität haben.

Heinz-Gert Fühser (Trainer und Bezirksjugendwart)

Fair ist, wenn ein Sportler dem anderen aufhilft, sowohl praktisch als auch im übertragenen Sinne. Ich glaube, daß Fairneß im Behindertensport noch möglich ist, da hier für sportliche Leistungen selten Honorare gezahlt werden. Im Nichtbehinderten-Sport ist Fair play meiner Meinung nach auch durchführbar, wird aber leider nur noch selten praktiziert, da jeder nur an sich selbst und das Geld denkt. Es gibt nur wenige Sportler, die so charakterstark sind, daß sie Fehlentscheidungen des Schiedsrichters auch zum Vorteil eines Mitkonkurrenten korrigieren würden. Ich persönlich würde es sehr begrüßen, wenn im Sport wieder mehr Fair play vorherrschen würde.

Regina Isecke (Tennis)

Das Fair-Play-Verhalten ist das A und o im Sport. Es widerstrebt mir, beim Tennisspielen psychologische Tricks anzuwenden. Aber auch wenn meine Gegner bei strittigen Bällen oft nicht zu meinen Gunsten entscheiden, versuche ich fair zu bleiben, denn ich will nicht mit linken Touren zum Sieg kommen. Ich glaube nicht, daß es in bezug auf die Fairneß zwischen dem Behindertensport und dem Sport der Nichtbehinderten Unterschiede gibt. In beiden Arten des Sports sollten die Medaillen zurückgegeben werden, wenn man der Meinung ist, daß der Gegner besser war. Oft erlebt man auch bei den Zuschauern einseitige Sympathiebekundungen, die den Gegner benachteiligen, weil sie ihn extrem stören. Doch auch diese unfaire und unsportliche Geste ist leider üblich, und man muß versuchen, mit ihr umzugehen, indem man sich nur auf sich selbst konzentriert.

"Mit Fair Play wird man nicht geboren "

Fair Play: Dr. Karl Quade, ehem. Vizepräsident Sport des DBS und Chef de Mission des DBS-Teams bei den Paralympics 1996 in Atlanta, im Gespräch über Fair play:

Wie sieht es aus mit Fair play im Behindertensport?

Da ich jahrelang selber aktiver Volleyball- Leistungssportler war und auch zum A-Kader der Nationalmannschaft zählte, kann ich aufgrund meiner praktischen Erfahrungen sagen, daß das Fair play untereinander im Behindertensport doch sehr ausgeprägt ist. Aufeinanderzugehen, Unterstützung, Rücksichtnahme sind eigentlich - auch auf internationaler Bühne - keine Fremdwörter. Ich bin sicher, daß für einen behinderten Leistungssportler, ebenso wie für den Leistungssport Nichtbehinderter, die sportliche Aktivität, der Wettkampf, im Mittelpunkt steht, daneben spielen aber auch Bereiche wie das Steigern des Selbstwertgefühls und die physische und psychische Stabilisierung eine Rolle. Vielleicht fügen aber auch gleiche oder ähnliche Schicksale Menschen mehr zusammen.

Speziell im Leistungssport der Behinderten werden hohe ethische Anforderungen an Athleten und Funktionäre bezüglich der Klassifikation gestellt. Die Funktionäre sollen mit der Einteilung in verschiedene Klassen einen fairen Rahmen schaffen. Die Sportler und Klassifizierer müssen ihrerseits mit einem fairen Verhalten zur richtigen Klassifikation beitragen. Dieses ist u. a. auch eine Voraussetzung dafür, um die Vergleichbarkeit mit anderen Sportverbänden und Athleten hinsichtlich der öffentlichen Anerkennung und Auszeichnungen zu gewährleisten.

Interessengegensätze zum Fair play sind zu vermeiden, ihnen muß man sQwohl als Aktiver als auch als Funktionär entgegenwirken. So kann meiner Ansicht nach eine zu starke ökonomische Abhängigkeit der Aktiven von ihrem Sporttreiben ein ausgewogenes Gleichgewicht verändern.

Wie kann man Fair Play vermitteln?

Mit Regeln, dem moralischen Zeigefinger? Oder ist es schlichtweg eine Charaktereigenschaft des Sportlers oder der Sportlerin: Entweder man hat sie oder man hat sie nicht? Ich meine, mit Fair play wird der Sportler oder die Sportlerin nicht geboren. Erziehung zum Fair play spielt dabei eine entscheidende Rolle. Man darf Erziehung zum Fair play auch nicht auf den Sport begrenzen. Fair play wird, glaube ich, im Elterhaus geboren und z. B. im Kindergarten, in der Schule und im Verein weiterreifen. Wenn der Fair-Play-Gedanke als ganzheitlicher Aspekt betrachtet wird, er also in vielen gesellschaftlichen Bereichen zum Thema gemacht wird, so wird man auch im Sport, ob Behindertensport oder Nichtbehinderten- Sport, mehr Fair play erleben. Deshalb finde ich,daß Fair-PlayAktivitäten, die von vielen Institutionen ins Leben gerufen wurden, in den Köpfen der Aktiven diesen Gedanken immer wieder wachrufen, ihn am Leben halten. Gerade Fair play ist ein Gebiet, auf dem keiner auslernt oder ausgelernt hat.

Wo fängt Fairplay an?

Eine Sportart ausschließlich nach dem Gedanken des Fair play zu reglementieren , d. h., daß diese Sportart nur noch nach den Prinzipien des Fair play gespielt werden kann, ist von Sportwissenschaftlern einmal untersucht worden. Ergebnis: zu theoretisch, in der Praxis nicht anwendbar, da gewisse Freiräume und Spielräume, die auch den Reiz einer Sportart ausmachen, zunichte gemacht werden. Ich denke, das unsere Sportregeln den Fair-Play-Gedanken bereits integriert haben. Foul-Spiel, Schwalben, Doping etc. sind verboten und regelwidrig. Das Einhalten dieser bereits bestehenden sportlichen Regeln brächte meiner Ansicht nach den Fair-Play-Gedanken einen großen Schritt weiter nach vorne.

Waren Sie ein fairer Sportler?

Ich habe mich bemüht, fair zu spielen. Sicher ist mir das während des Spiels nicht immer gelungen, zumal der sportliche Wettkampf auch seine eigene Dynamik kennt. Ich kann für mich sagen, daß ich nicht absichtlich unfair gespielt habe. Meine sportlichen Gegner habe ich zudem sehr geschätzt, und mit vielen - auch auf internationaler Ebene - verbindet mich bis heute eine enge Freundschaft. Natürlich ging es für mich auch ums Gewinnen, aber nicht mit unfairen Mitteln. Unsere ganze Mannschaft wollte nach einem Sieg auch sicher sein, daß er gerecht war.

In dem Moment als ich mich gegen die Goldmedaille entschied...

Roberto Simonazzi, Leichtathlet

Bei den Paralympics ganz oben auf dem Treppchen stehen. Goldmedaille. Traum eines jeden Sportlers, einer jeden Sportlerin.

1988 in Seoul war für Roberto Simonazzi dieser sportliche Höhepunkt gekommen. Siegerehrung im Kugelstoßen. Aber für ihn war es ein bitterer Augenblick. Denn er wußte: Gold hatte er zu diesem Zeitpunkt nicht verdient. Der wahre Sieger stand neben ihm auf Platz 2.

Die Wettkampfrichter hatten beim Kugelstoßen für Roberto Simonazzi eine falsche Weite ermittelt. Es fiel ihm erst auf, als das Maß band schon weg war. Sein spontaner Protest nutzte da nichts mehr. Gemessen war gemessen.

Drei Tage grübelte der inzwischen 32jährige gebürtige Garmischer, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er hatte den Fehler nur zufällig bemerkt. Sein Problem blieb: Er wußte es jetzt nun einmal. Seine Entscheidung: Als er vom Siegertreppchen kam, tauschte er mit dem wahren Champion - einem Sportler aus Ungarn - die Medaille.

Auf dem Treppchen wäre es ihm lieber gewesen. Aber das wäre ein Affront gegen die Spielleitung der Paralympics und gegen das Wettkampfrichter-Team gewesen - diplomatische Verwicklungen sozusagen. Darauf hatte ihn sein Trainer hingewiesen. Aber sonst hatten alle in der Mannschaft ihm Ruhe zur Entscheidung gelassen und seinen Wunsch respektiert.

"In dem Moment, als ich mich gegen die Goldmedaille entSChied, habe ich ganz spontan nur daran gedacht, daß es eben nicht 'meine' ist. Es war nicht in Ordnung. Das war's für mich. Ich denke im Nachhinein, daß ich richtig gehandelt habe. Ich habe zwar auf Gold verzichtet - immerhin etwas, wofür ich lange trainiert hatte. Aber ich habe Respekt und Anerkennung dafür gewonnen, es war ein moralischer Gewinn. Der Fair-Play-Preis, den ich anschließend erhielt, war Ausdruck dafür. Es lohnt sich, fair zu sein."

Roberto Simonazzi versucht, diese Haltung anderen weiterzugeben. Allerdings:

"Ich glaube nicht, daß man Fair play einfach so antrainieren kann. Das ist eine Lebenshaltung. Wichtig für eine faire Haltung ist ein gutes, offenes Klima untereinander, in der Mannschaft. Da lernt man vom guten Beispiel der anderen. Ein solches gutes Klima habe ich in der Nationalmannschaft gefunden."

Der Diplom-Sportlehrer für Behinderten- und Rehabilitationssport war auch in Barcelona am Start und holte dort Bronze im Diskuswerfen. In Atlanta startet er im Fünfkampf sowie im Kugelstoßen und Diskuswerfen.

"Fair play ist eine Gemeinschaftsaufgabe"

Athanasios Papageorgiou, Volleyball-Trainer

Das Herz von Athanasios Papageorgiou gehört dem runden Leder. Nicht dem, das ins Netz, sondern dem, das übers Netz fliegt. Der Kölner Hochschullehrer, der von Rhodos stammt, widmet sich haupt-, nebenund ehrenamtlich dem Volleyball-Spiel. Unter anderem ist er Chef trainer der Deutschen Volleyball-Nationalmannschaft im Behindertensport und Vorsitzender der Trainerkommission des DBS.

Frage: Was bedeutet für Sie Fair Play?

Papageorgiou: Fair play bedeutet zunächst einmal: Beachtung des Regelwerks. Daran müssen sich Spieler, Trainer und Schiedsrichter halten. Das ist die Grundlage. Fair play geht aber noch weiter. Beim Volleyball gibt es keinen direkten Körperkontakt. Aber am Netz kann es in der Hitze des Gefechts aggressive Wortwechsel geben oder Versuche, durch hämische Zurufe gegnerische Spieler zu verunsichern und fertigzumachen. Das kann das Klima eines Spiels sehr stark beeinflussen, es in ein unfaires Match abgleiten lassen.

Frage: Welche Aufgabe hat ein Trainer, um Fair Play zu sichern?

Papageorgiou: Nun, die besteht einmal darin,die Mannschaft auf der Grundlage des Regelwerks zu trainieren, die Regeln voll auszuschöpfen, was auch bedeuten kann, bis an die Grenzen zu gehen. Aber nicht darüber hinaus. Verdeckte Fouls zu trainieren oder Taktiken, um die Schiedsrichter zu täuschen - das darf nicht passieren. Ein Trainer ist ein Lehrer, muß sich als solcher verstehen und muß Vorbild sein. Das kann er nur mit einer positiven Haltung zu Fair play. Während des Spiels haben Trainer die Aufgabe, ihrer Mannschaft den Rücken zu stärken, darauf zu achten, daß insgesamt ein faires Klima während der Begegnung besteht. Wie eingangs gesagt: Aggressive Anmache und Beschimpfungen müssen unterbleiben. Und wenn es nötig ist, muß ein Trainer sich auch mal mit einem Schiedsrichter anlegen, wenn der nicht richtig durchgreift. Auch das diept dem Fair Play.

Frage: Volleyball ist ein Mannschaftssport. Was ist, wenn ein Spieler eine Regelwidrigkeit eingesteht, die der Schiedsrichter übersehen hat, und damit den Sieg gefährdet?

Papageorgiou: Beim Volleyball gibt es viele Regelverletzungen, die der Schiedsrichter nur schwer erkennen kann, zum Beispiel Netzberührung oder wenn ein Spieler den Ball mit den Fingernägeln berührt. Das weiß letztlich nur der Spieler selbst und muß dann entscheiden. Wenn das Spiel in guter, fairer Atmosphäre stattfindet, mit einem umsichtigen Schiedsrichter und einer gegnerischen Mannschaft, die ebenfalls Fair play übt, dann ist es angebracht und fair, den Fehler zu meiden. Es kann allerdings Situationen geben, wo solche Voraussetzungen nicht gegeben sind - und da würde ich meinen, ist es fair, nichts zu sagen. Aber das ist eine sehr persönliche Entscheidung. Und ich weise die Trainer darauf hin, daß sie ihre Spieler dazu anhalten sollen, solche Entscheidungen von Kameraden zu respektieren.

Frage: Anscheinend wird ein fairer Spielverlauf von ganz vielen Faktoren bestimmt ...

Papageorgiou: Fair play ist eine Gemeinschaftsaufgabe aller Spielbeteiligten. Für die Einhaltung der Regeln sind in erster Linie die Schiedsrichter verantwortlich, die Spieler bekommen manches gar nicht mit. Wenn ein Schiedsrichter bei verbalen Attacken nicht eingreift, wenn er unsicher ist und Fehler übersieht, häufen sich die Fouls, und das Spiel kann abgleiten. Einzelne Spieler werden sich dann zurückhalten, Fehler zuzugeben, weil in einer solchen Situation die andere Mannschaft zu sehr bevorzugt würde. Für Fair play tragen aber auch Vereinsmanager und -vorstände eine große Verantwortung. Ein Trainer kann wenig ausrichten, wenn ein Vorstand · seinen Leuten sagt: Ihr müßt gewinnen, egal wie ...

 

"Ehrliches Silber ist besser als durch Tricks gevvonnenes Gold"

Thomas Nuss, Leichtathlet

Thomas Nuss ist 33 Jahre alt. Zehn Jahre hat er intensiv Sport getrieben, holte in Seoul bei den Paralympics Medaillen im Kugelstoßen und Diskuswerfen. Eine Medaille, auf die er ebenso stolz ist, erhielt er 1994 nach der Weltmeisterschaft in Berlin, wo er CoTrainer der deutschen Mannschaft war: die Fair-Play-Medaille.

"lch war ganz überrascht, als ich die Fair-Play-Medaille bekam. Ich hatte ja eigentlich etwas ga Selbstverständliches getan. Als 1ch die Karte für Horst Beyer für das Diskuswerfen abgeben wollte, sah ich, daß lohn Eden von der australischen Mannschaft nicht auf der Wettkampfliste stand. Und ich wußte genau, daß er da war. Ich machte die Mannschaftsleitung auf das Versäumnis aufmerksam, lohn konnte starten und holte den Titel.

Ich hätte natürl~ch egoistisch sein und den Mund halte können. lohn Eden wäre dann nicht dabeigewesen, und J Horst Beyer hätte Gold geholt. Aber ich weiß genau, Horst Beyer hätte dann keinen Spaß an der Medaille gehabt. Ehrliches Silber ist besser als durch Tricks oder Unfairneß gewonnenes Gold.

Wo faire Haltung herkommt? Ich glaube, die kommt in dem Moment, wo's passiert, ganz spontan, ohne großes Überlegen. Das ist eine innere Einstellung, die man hat. Als Trainer versuche ich natürlich, so etwas zu vermitteln. Ob man es letztlich antrainieren kann, weiß ich nicht. Der Grundstein wird zum Teil in der indheit in der Familie gelegt. Der Umgang miteinander, wie man den erfährt, das ist wichtig. Wenn die Leute ins raining kommen, haben sie schon bestimmte Einstellungen ent.mckelt. Darauf kann man Einfluß nehmen, aber ob man dann noch alles um}

Wo fängt Unfairneß an? Das ist ein weites Feld. Es gibt solche Dinge wie Psychokriege auf dem Rasen. Man kennt die Schwäche des anderen - zum Beispiel, daß der vor dem S art sehr nervös ist und nicht angesprochen werden will. Und bringt ihn dann mit ein paar Bemerkun,gen aus der Fassung. Das ist zwar kein Regelverstoß, aber in meinen Augen auch unfair.

Zu einem Klima von Fair play trägt bei, daß wir uns im Behinderten-Leistungssport alle sehr gut kennen, es ist ein - überschaubarer Kreis. Ich kann nicht unfair gegenüber einem Menschen sein, dem ich abends, nach den Wettkämpfen, wieder in die Augen sehen will. Mir wäre das unmöglich.

Es geht natürlich immer um sehr viel bei Wettbewerben. Im Behindertensport geht es dabei weniger um Geld, sondern um Ansehen, um die Stellung, gerade auch bei einem WM-Titel oder bei der Qualifikation für die Paralympics. Das kann schon verführen. Vor allem, wenn es um Dinge geht, die andere nicht bemerken.

Wenn ich es genau bedenke, entsteht Unfairneß aus Schwäche und Unsicherheit. Eine starke, gefestigte Persönlichkeit ist die beste Voraussetzung für Fair play."

 

"Ein unfairer darauf kann Sieg, ich nicht stolz . "

Esterh Weber-Kranz (Fechterin)

 

"Mit offenem Visier kämpfen" - so heißt eine Redensart. Sie steht für Ehrlichkeit, für Kämpfen ohne Hinterhalt. 1992 erhielt die Fechterin Esther Weber- Kranz als erste behinderte Sportlerin die Fair-Play-Trophäe der deutschen Sport journalisten. Eine Ehrung für ihren Kampf "mit offenem Visier" bei den Paralympics in Barcelona.

Es war im Viertelfinale im Florettfechten. Nach einem Treffer hieß es nicht Einstand, sondern die Anzeigetafel zeigte 4: 2 zugunsten der deutschen Sportlerin.

"Und das war ganz eindeutig falsch. Ich nahm sofort die Maske ab und wollte erst weiterkämpfen, .Ienn der Fehler k orrigiert war. Aber der Schieds richter beharrte auf der EntSCheidung. Eine schwierige Situation ...

Esther nahm den Kampf wieder auf, öffnete aber die Deckung und ließ sich von ihrer italienischen Gegnerin treffen, bis das Ergebnis und die Gerechtigkeit wieder stimmten.

Die 29jährige Schwäbin, die beim SV Waldkirch 1984 mit dem Fechten begann und beim Fe Tauberbischofsheim trainiert, gewann diesen Kampf, erreichte dann aber im Viertelfinale "nur" Bronze. Im Degenfechten holte sie sich dann doch noch das erste paralympische Gold.

Ich bin froh, so gehandelt zu haben. Ich gewinne gern, das ist ganz klar, dafür bin ich Sportlerin, aber ich will ehrlich gewinnen. Das entspringt meiner Haltung als Christ in. Ich könnte nicht vor mir bestehen, wenn ich anders handele. Ein unfairer Sieg, darauf könnte ich nicht stolz sein."

Sie ist sich sicher: Mariella Bertini, ihre damalige Gegnerin, hätte genauso gehandelt wie sie.

.Wir haben beide die Situation gleich eingeschätzt. Es war ein ganz offensichtlicher Fehler. Und ich spürte, daß sie sich über meine spontane Reaktion sehr gefreut hat."

1992 war Esther Weber-Kranz noch frisch auf internationalem Parkett. Naiv und unbefangen, meint sie heute. Inzwischen hat sie dazu gelernt - auch, mit welch faulen Tricks und Unregelmäßigkeiten gearbeitet wird, um kleine Vorteile ausspielen zu können.

"Da gibt es zum Beispiel Möglichkeiten beim Ausmessen der Reichweite, wenn die Rollstühle in dem Gestell fixiert werden. Je nachdem, welche Haltung man im Rollstuhl dabei einnimmt, kann man schon mal kleine Ver~nderungen bewirken, wenn die Obleute nicht scharf aufpassen."

Sie will das nicht mitmachen, weiterhin ehrlich gewinnen .

"Wir kennen uns auf internationalen Begegnungen alle sehr gut. Und wir wissen auch, wer trickst. Ich erinnere mich an eine Begegnung zwischen Frankreich und Italien. In der französischen Mannschaft war eine Sportlerin, die schrecklich unfair war. Da haben alle für Italien geschrien und so gezeigt, was sie davon halten."

Esther Weber-Kranz hofft, daß Fair play im Behindertensport einen großen Wert behält.

"Wir können zeigen, daß es einen anderen Weg gibt, als um jeden Preis zu siegen",

sagt sie dazu. Es könnte ein Beitrag der BehindertensportIer für die Integration mit Nichtbehinderten sein, die Esther Weber-Kranz und ihrem Mann sehr am Herzen liegt.

Die Goldenen Regeln für das FAIR-HALTEN im Behindertensport

1. Sei deinem Gegner während und nach dem Wettkampf ein fairer Partner.

2. Verhalte dich bei der Klassijizierung Deinem Handicap angemessen, und trickse nicht.

3. Respektiere die Leistung unterschiedlich behinderter Konkurrenten in anderen Behinderungsklassen, und neide nicht die Medaillen deiner Mitstreiter.

4. Gerade für Behinderte ist es eine ethische Pflicht, auf Medikamentenmißbrauch und leistungsfördernde Substanzen zu verzichten.

5. Im Wettkampf soll die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit und nicht das technische Hilfsmittel (Rollstuhl, Prothese) über Sieg und Niederlage entscheiden.

6. Unterstütze Athletinnen und Athleten aus Ländern mit geringerer Sportjörderung, und setze dich für Chancengleichheit ein.

7. Respektiere Entscheidungen von Schieds- und Kampfrichtern, Medizinern und Klassijizierern.

8. Unterstütze deine MannschaftskoUegen nach ganzen Kräften, und sei ihnen ein fairer Partner.

9. Bei Wettkämpfen von blinden und sehbehinderten Sportlerinnen und Sportlern ist absolute Stille das Gebot der Fairneß.

10. Der Leistungssport Behinderter darf niemals Selbstzweck sein. Der Sport muß immer in einen sozial, politisch, medizinisch und psychologisch sinnvollen Lebenszusammenhang eingebettet sein.